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Sturtevant

Künstler*in(nen)
Elaine Sturtevant
Kurator*in(nen)
Stéphane Ackermann

Die Kunst der Gegenwart hat immer den Blick auf die Kunst der Vergangenheit verändert. Das späten 20. Jahrhundert. hat endlose Bewertungen und Ansichten darüber aufgeworfen, wie etwas, das gemeinhin für schlecht gehalten wurde, plötzlich gut sein kann (so etwa die neue Begeisterung für das Spätwerk von Picassso, de Chirico, oder Picabia), oder wieso einzelne Künstler, die einst als singuläre Außenseiter galten, nun als Rufer in der Wüste erscheinen, die kommende Ereignisse ankündigten.Ich kenne kein erstaunlicheres Beispiel für dieses Phänomen der Wiederentdeckung eines Propheten als den Fall  Elaine Sturtevant. Zwischen 1965 und 1975, als die Künstlerin neun Einzelausstellung und nahezu ein Dutzend Gruppenausstellungen hatte, löste sie eine Flut von Kontorversen aus, indem sie bis hin zu den Ausmaßen exakte Nachbildungen nicht nur von Bildern und Objekten Duchamps herstellte, des Altmeisters der Verwechslung von Original und Reproduktion, sondern auch - noch befremdlicher - einer Reihe ihrer Zeitgenossen: Johns, Stella, Warhol, Lichtenstein, Rosenquist, Oldenburg, Beuys. Für manche war ihr Werk ein empörendes Plagiat. Für andere jedoch brachte sie eine Unruhe in die Kunstwelt, die weit über eine abstruse Beschäftigung mit der Frage der künstlerischen Originalität hinausging.

Und dann kamen die 80er Jahre, als unser zurückblickendes Jahrhundert, vielleicht, um sich selbst auf das Jüngste Gericht des Jahres 2000 vorzubereiten, plötzlich eine Ummenge von Künstler hervorbrachte, die sich leidenschaftlich mit der Wiedererweckung und Konservierung der unterschiedlichsten Bilder aus der Ruhmeshalle des 20.Jhd. beschäftigten. Unter den Schlagworten „Aneignung", „Simulation" oder „Bild-Plünderung" haben Künstler wie Sherrie Levine, Philip Taaffe, Mike Bidlo und David Salle alles kopiert, von Schiele, Malewitsch und Picasso bis hin zu Newman, Riopelle und Pollock. Diese neue visuelle Welt der „Doppelbelichtung" hat nicht nur eine Reihe verstörende Fragen aufgeworfen, sondern auch Sturtevants Arbeiten näher ins Zentrum der Kunstgeschichte des letzen Vierteljahrhunderts gerückt.Nun, da wir mehr Erfahrung mit Künstler haben, die das Werk anderer Künstler kopieren, beschäftigt uns, neben der eindeutig historischen Komponente, das Eigenständige an Sturtevants Kunst, das sie unverwechselbar macht. Zum einen ist dies die Kühnheit, mit der sie aus den Werken ihrer unmittelbaren Zeitgenossen statt aus jenen entfernter, altehrwürdiger Vaterfiguren schöpft. Um  die Sache noch komplizierter zu machen, ist da zum anderen die Deutlichkeit, mit der sie verkündet, dass diese Arbeiten einzig und allein ihrem ästhetischen Empfinden entspringen.Auf einer komplexeren Ebene, öffnet sie die Büchse der Pandora: Was ist Originalität? Indem sie Duchamps Vorgehensweise wiederspiegelt, beschwört sie die Geister von Wahr und Falsch, Idee und Ausführung und andere festlegende Verknüpfungen herauf. Ihre absolut entschlossene Konsequenz macht sie paradoxerweise unendlich origineller als eine Vielzahl von um  Originalität bemühte Künstler.Ihre Arbeit über Original und Duplikat ist erstaunlich aktuell da sie unsere Lebensweise in diesem ausklingenden Jahrhundert widerspiegelt. Sturtevant zwingt uns rück-, seit- und vorwärts zu blicken, und wir stellen ganz ohne Verwunderung fest, dass Kopie, Duplikat, Reproduktion, Bild, Schein und Ähnlichkeit - am deutlichsten wahrnehmbar in den virtuellen Welten und ihren Normen - letztendlich die Wirklichkeit beherrschen.Das Durcheinander, das Sturtevant gewissermaßen sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit und Gegenwart der Kunst einbringt, ist ihre wohl störendste Kraft.

Ausstellungen

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